Bodo Ramelow [ˈboːdo ˈʁaməlo] (* 16. Februar 1956 in Osterholz-Scharmbeck) ist ein deutscher Politiker (Die Linke). Er ist seit dem 4. März 2020 erneut Ministerpräsident des Freistaates Thüringen, zuvor amtierte er vom 5. Dezember 2014 bis zum 5. Februar 2020 in dieser Position. Ramelow ist der erste Ministerpräsident eines deutschen Bundeslandes, der der Partei Die Linke angehört. Vom 26. November 2019, dem Tag der Konstituierung des neu gewählten Landtags, bis zur Wahl seines zwischenzeitlichen Nachfolgers Thomas Kemmerich (FDP) am 5. Februar 2020 war Ramelow als Ministerpräsident nur geschäftsführend im Amt. Seit dem 1. November 2020 ist er turnusgemäß Zweiter Vizepräsident des Bundesrates.
Zuvor war er von 2001 bis 2005 sowie von 2009 bis 2014 als Fraktionsvorsitzender der Linken Oppositionsführer im Thüringer Landtag. Von 2005 bis 2009 war er Mitglied des Bundestages.
Bodo Ramelow wuchs in Osterholz-Scharmbeck (Niedersachsen) und Nieder-Wiesen (Rheinhessen) in einem evangelischen Elternhaus mit drei Geschwistern auf.[1] Als Ramelow acht Jahre alt war, starb sein aus Kricheldorf bei Salzwedel stammender leiblicher Vater Erwin[2] an den Folgen einer Kriegsverletzung.[3] Seine Mutter war eine alleinerziehende Hauswirtschaftsleiterin aus der traditionsreichen lutherischen Familie Fresenius; ein Ahne war Johann Philipp Fresenius.[1]
Ramelow ist seit November 2006 in dritter Ehe mit der Italienerin Germana Alberti vom Hofe verheiratet,[4] einer Supervisorin und Organisationsentwicklerin bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Er ist Protestant[1] und hat zwei erwachsene Söhne aus erster Ehe. Er lebte 2016 in Erfurt und Saalburg.[5]
Bodo Ramelow wurde im November 2018 die Georgs-Plakette verliehen, die der Verband Deutscher Altpfadfindergilden vergibt.[6]
Ramelow beendete 1971 die Hauptschule mit dem Hauptschulabschluss. Als Kind hatte er eine Lese- und Rechtschreibstörung (er konnte nach eigenen Angaben „nicht ordentlich“ schreiben).[7] In Gießen erlernte er in den Jahren 1971 bis 1974 bei Karstadt[2] den Beruf Kaufmann im Einzelhandel.[3] An der kaufmännischen Berufsaufbauschule in Marburg erwarb Ramelow 1975 die Mittlere Reife und 1977 die kaufmännische Fachhochschulreife.
Er arbeitete ab 1977 als Substitut zur Einarbeitung bei der Karstadt AG sowie beim früheren Kaufmarkt HaWeGe in Marburg-Cappel. Später wurde Ramelow Filialleiter bei der Jöckel Vertriebs GmbH in Marburg. Eine Ausbilder-Prüfung nach der Ausbilder-Eignungsverordnung (AdA-Schein) legte Ramelow Ende der 1970er Jahre ab. Von 1981 bis 1990 war Ramelow Gewerkschaftssekretär in Mittelhessen, von 1990 bis 1999 Landesvorsitzender der Gewerkschaft HBV (heute ver.di) in Thüringen, wo er unter anderem beim Arbeitskampf im Kaliwerk Bischofferode mitwirkte,[8] und von 1992 bis 1999 Aufsichtsratsvorsitzender der Wohnungsbaugenossenschaft Zukunft eG in Erfurt.
Am Tag der Arbeit 1994 trat Bodo Ramelow neben Gregor Gysi, Gerhard Jüttemann, Gabi Zimmer und Heinrich Fink auf der zentralen Maifeier der PDS in Erfurt als Redner auf. Im Januar 1997 gehörte er zu den Initiatoren und Erstunterzeichnern der „Erfurter Erklärung“, eines Aufrufs von knapp 40 Künstlern, Intellektuellen, Gewerkschaftern und Politikern für mehr soziale Gerechtigkeit und einen Politikwechsel durch engere Zusammenarbeit von SPD, Grünen und PDS.[9]
1999 kandidierte Ramelow, der im April 1999 der PDS beitrat, auf der Landesliste der Partei für die Landtagswahl in Thüringen 1999 auf Platz zwei nach der ehemaligen Landesvorsitzenden Gabi Zimmer. Er wurde somit erstmals in den Thüringer Landtag gewählt, wo er von 1999 bis 2001 stellvertretender PDS-Fraktionsvorsitzender war und schließlich am 14. November 2001 zum Vorsitzenden der Landtagsfraktion gewählt wurde. Aufgrund seines „smarten“ Auftretens und der Frische, die er in die bis dahin „auf sich konzentrierte Partei“ brachte, wurde er in dieser Zeit scherzhaft als „Ein-Mann-Opposition“ bezeichnet.[10] Im Jahr 2002 wurde er außerdem Mitglied im Beirat der Thüringer Aufbaubank (TAB).
Am 20./21. September 2003 nominierte die Thüringer PDS in Lobenstein mit Bodo Ramelow erstmals einen eigenen Kandidaten für das Amt des Thüringer Ministerpräsidenten. Am 7. Februar 2004 wählte ihn seine Partei auf Platz eins der Landesliste für die anstehende Landtagswahl 2004. Bei der Landtagswahl am 13. Juni 2004 erreichte die PDS mit 26,1 % der Stimmen ihr bis dahin bestes Ergebnis in Thüringen, Ramelow gewann im Wahlkreis Erfurt I ein Direktmandat. Das Wahlziel, die CDU-Mehrheit zu beenden, erreichte er aber nicht. Ramelow wurde daraufhin wieder zum Vorsitzenden der PDS-Fraktion im Thüringer Landtag gewählt.
Bodo Ramelow gehörte ab 2004 dem Bundesvorstand der Linkspartei an und wurde am 13. Dezember 2004 zum Wahlkampfleiter der damaligen PDS für die Bundestagswahl 2005 bestimmt.[11]
Ramelow errang am 18. September 2005 ein Mandat für den 16. Deutschen Bundestag auf der Landesliste der damaligen Thüringer Linkspartei.PDS. Das Direktmandat im Bundestagswahlkreis Gera – Jena – Saale-Holzland-Kreis verfehlte er mit 29,4 % gegen Volker Blumentritt von der SPD (31,8 %). Ramelow wurde am 30. September 2005 zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden ohne Fachbereich gewählt. Er war auch „Religionsbeauftragter“ seiner Fraktion.[12] Nach seiner Wahl in den Bundestag schied er zum 17. Oktober 2005 aus dem Thüringer Landtag aus. Sein Nachfolger als PDS-Fraktionsvorsitzender wurde dort Dieter Hausold.
Ab Juni 2005 war Ramelow Chefunterhändler der Linkspartei.PDS bei den Gesprächen zur Verschmelzung mit der WASG[13] und wurde so breiteren Kreisen in der WASG bekannt. Dort stieß seine harte, aber sachliche Verhandlungsweise nicht nur auf Gegenliebe. Einzelne Kritiker bezeichneten seine Vorgehensweise als autoritär, während andere ihm zugutehielten, dass Einigungen unter Zeitdruck nur durch straffe Führung erreichbar seien. Besonders engagierte er sich in der Frage der Fusion der verschiedenen Jugendstrukturen beider Seiten. Entsprechende Verhandlungen innerhalb der PDS-Jugendstrukturen waren vor seinem Engagement jahrelang im Sande verlaufen.
Im Mai 2008 gab Bodo Ramelow das Amt des Wahlkampfleiters der Linken ab und wurde Beauftragter des Bundesvorstandes für Föderalismus.
Am 2. Dezember 2007 wurde Ramelow beim Landesparteitag der Thüringer Linken einstimmig als Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2009 nominiert. Während des Wahlkampfes wurde publik, dass Ramelow in seinem Berliner Bundestagsbüro wissentlich eine frühere hauptamtliche Mitarbeiterin der DDR-Staatssicherheit beschäftigte. Bei der Landtagswahl am 30. August 2009 erhielt seine Partei gegenüber 2004 1,3 Prozentpunkte mehr, blieb aber unter der 30-Prozent-Marke.[14] Ramelow selbst erhielt erneut ein Direktmandat, dieses Mal im Wahlkreis Erfurt III. Sein Erststimmenergebnis war das knappste aller Wahlkreise: er erhielt 34 Stimmen mehr als die Justizministerin Marion Walsmann (CDU).[15]
Das Landtagswahlergebnis 2009 machte zwei Koalitionen möglich, nämlich eine schwarz-rote oder eine rot-rot-grüne Koalition. SPD und Grüne bekräftigten ihre vor der Wahl geäußerte Abneigung gegen Ramelow als Ministerpräsidenten; Ramelow plädierte gegen eine Wahl des SPD-Spitzenkandidaten Christoph Matschie zum Ministerpräsidenten.[16] Am 17. September erklärte Ramelow schließlich seine Bereitschaft, für eine mögliche rot-rot-grüne Koalition auf das Ministerpräsidentenamt zu verzichten, wenn auch Matschie verzichte und Linke, SPD und Grüne „gleichberechtigt einen Personalvorschlag machen“ würden.[17] Sein Vorstoß stieß auch bei seiner eigenen Parteiführung auf Kritik.[18]
Den Entschluss Matschies, eine Koalition mit der CDU zu bilden, kritisierte Ramelow scharf. Als die CDU-Kandidatin Christine Lieberknecht bei der Wahl zur Ministerpräsidentin überraschend im ersten und zweiten Wahlgang durchfiel, beschloss Ramelow, im dritten Durchgang gegen sie anzutreten. Er erhielt 27 Stimmen, Lieberknecht wurde mit 55 Stimmen gewählt. Am 3. November 2009 wurde Ramelow wieder zum Fraktionsvorsitzenden gewählt, nachdem dieses Amt nach der Landtagswahl – im Hinblick auf eine zunächst noch mögliche Beteiligung Ramelows an der Landesregierung – zunächst wieder Dieter Hausold bekleidet hatte.
Bei der Landtagswahl in Thüringen 2014 verbesserte Ramelow sein Wahlkreisergebnis, verlor das Direktmandat im Wahlkreis Erfurt III aber an Marion Walsmann (CDU). Er zog über den ersten Platz auf der Landesliste seiner Partei in den Thüringer Landtag ein.[19]
Bodo Ramelow gewann bei der Landtagswahl in Thüringen 2019 das Direktmandat in seinem Erfurter Wahlkreis (in dem auch FDP-Spitzenkandidat Thomas Kemmerich antrat) mit 42,1 %. Zudem wurde Die Linke unter Ramelows Führung stärkste Kraft im Land und erzielte ihr historisch bestes Ergebnis in einer deutschen Landtagswahl. Ramelow reklamierte den Auftrag, eine neue Landesregierung für Thüringen zu bilden.[20]
Nach Bildung einer rot-rot-grünen Koalition erreichte Ramelow am 5. Dezember 2014 im Thüringer Landtag bei der Wahl des Ministerpräsidenten im zweiten Wahlgang die nötige absolute Mehrheit mit 46 von 91 Stimmen. Bodo Ramelow war damit deutschlandweit der erste Ministerpräsident, der der Partei Die Linke angehört.
In den ersten 100 Tagen nach Ramelows Wahl wurde beim regionalen Fernsehsender salve.tv die vierzehntägliche Sendung Ramelow & Co produziert, in der Ramelow die Ereignisse der je letzten beiden Wochen schilderte und kommentierte. Kritisiert wurde das Fehlen einer sichtbaren redaktionellen Rahmung oder kritischer Rückfragen. Für den Vorsitzenden der Versammlung der Landesmedienanstalt, den SPD-Bundestagsabgeordneten Steffen Lemme, handelte es sich um „Staatsfernsehen“,[21] ebenso für den Chef der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten, Jürgen Brautmeier, der darauf hinwies, dass es zu den Grundlagen der Verfassung gehöre, dass der Staat sich aus dem Rundfunk herauszuhalten habe.[22] Der Medienrechtler Johannes Weberling bezeichnete das Format als verbotene politische Werbung, die das Landesmediengesetz aushöhle.[23] Eine Prüfung durch die Thüringer Landesmedienanstalt kam jedoch zu dem Schluss, dass das Sendeformat nicht gegen das Medienrecht verstößt.[24] Im Sinne einer Trennung von Amt und Mandat legte Bodo Ramelow zum 31. März 2015 – ebenso wie Ministerin Birgit Klaubert – sein Abgeordnetenmandat im Thüringer Landtag nieder.[25]
Nach der Landtagswahl 2019 war Ramelow ab 26. November 2019, dem Tag der Konstituierung des neu gewählten Landtags, geschäftsführend im Amt. Am 5. Februar 2020 unterlag er im Thüringer Landtag beim dritten Wahlgang zum Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP), wodurch die Regierungskrise in Thüringen 2020 ausgelöst wurde. Nach dem Rücktritt Kemmerichs wurde Ramelow am 4. März 2020 im dritten Wahlgang erneut zum Ministerpräsidenten gewählt.
Die Thüringer Landesparteien der Linken, SPD, Grüne und CDU vereinbarten, dass es am 26. September 2021 eine vorgezogene Landtagswahl in Thüringen geben soll. Der ursprüngliche Termin am 25. April wurde wegen der Corona-Pandemie verworfen. Partei die Linke will dann erneut Bodo Ramelow zum Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten nominieren.[26][27]
Ramelow äußerte im Rahmen des Landtagswahlkampfes in Thüringen 2014, er setze sich für eine „sozial gerechte Steuerpolitik“ ein. Zu seinen wirtschaftspolitischen Positionen gehören (Stand 2014) die Bildung eines Beschäftigungssektors für Langzeitarbeitslose, der Kampf gegen Billiglöhne und die Förderung von Unternehmen mit familienfreundlichen Arbeitszeitmodellen. Im Bildungssektor setzt Ramelow auf den Ausbau der Ganztagsbetreuung mit einem ersten kostenfreien Betreuungsjahr, will Gemeinschaftsschulen stärken und Zugangsregelungen zum Hochschulstudium neu regeln. Er lehnt die Privatisierung von sozialstaatlichen Einrichtungen ab.
Die DDR war in den Augen Ramelows weder ein Rechtsstaat noch ein Unrechtsstaat. Das Arbeitsgesetzbuch der DDR sei besser als die arbeitsrechtlichen Regelungen in Westdeutschland gewesen. Dass es an der innerdeutschen Grenze einen Schießbefehl gegeben habe, sei nicht belegt. In einer Erklärung präzisierte er später, „Unrechtsstaat“ sei ein „nicht justiziabler Begriff“. Man müsse außerdem die Vorgaben stets von der Rechtsanwendung trennen.[28]
In der Zeitung Neues Deutschland sprach sich Ramelow für eine historische Auseinandersetzung aus, die die Geschichte der DDR und der alten Bundesrepublik auf gleiche Weise angeht: „Ehrliche Aufarbeitung muss beide Seiten in den Blick nehmen, weil sich die beiden politischen Systeme in Ost und West stets gegenseitig bekämpft und letztlich doch auch beeinflusst haben. Man kann nicht die eine Seite ohne den Blick auf die andere Seite verurteilen oder loben.“ Ein kritischer Umgang mit Geschichte bedeute für ihn auch, „eine Aufhebung des KPD-Verbots, die Rehabilitierung der Berufsverbote-Opfer und einen sofortigen Stopp der sogenannten ‚Blauhemd-Prozesse‘ wegen des Tragens von FDJ-Symbolen zu fordern“. Ramelow forderte zudem, „die gekürzten Renten von Menschen im damaligen Staatsapparat der DDR“ zu thematisieren.[29] Hubertus Knabe, ehemaliger Leiter der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, kritisierte diese Äußerungen und warf Ramelow vor, „die Unterdrückung eines ganzen Volkes“ zu relativieren.[30]
Ramelow war am 13. Februar 2010 an einer Demonstration gegen einen Aufmarsch der rechtsextremen Jungen Landsmannschaft Ostpreußen in Dresden beteiligt. Ihm wurde von den sächsischen Justizbehörden danach vorgeworfen, die Gegendemonstration maßgeblich mitorganisiert und den Aufmarsch widerrechtlich behindert zu haben, und ein Verfahren wegen Verstoßes gegen § 21 Versammlungsgesetz wurde eingeleitet. Im Oktober 2010 wurde Ramelows Immunität vom Thüringer Landtag aufgehoben.[31] Nach eigener Darstellung war Ramelow lediglich als Vermittler zwischen den Gegendemonstranten und der Polizei aktiv. Das Verfahren sollte durch Strafbefehl vom 14. April 2014 mit einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 170 Euro beendet werden. Gegen diesen Strafbefehl legte Ramelow jedoch Einspruch ein, so dass dieser nicht rechtskräftig wurde (ein rechtskräftiger Strafbefehl steht einer Verurteilung gleich). In Folge dessen sollte das Verfahren im Mai 2014 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten wegen Geringfügigkeit nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt werden, wobei das Amtsgericht allerdings nicht auf Ramelows Bedingung einging, dass die Justizkasse seine Anwaltskosten übernimmt. Mangels wirksamer Zustimmung des Angeklagten musste das Amtsgericht das Verfahren weiterführen und, weil seit September 2014 eine neue Legislatur begonnen hatte, einen neuen Antrag auf Aufhebung der Immunität Ramelows als Abgeordneter stellen. Dies geschah am 3. Dezember 2014, zwei Tage vor seiner Wahl zum Ministerpräsidenten. Der Justizausschuss des Thüringer Landtags hob daraufhin die Immunität Ramelows erneut auf.[32]
Ramelow sieht in dem Verfahren einen Versuch zur Einschüchterung der Zivilgesellschaft. Proteste gegen Demonstrationen mit rechtsextremen, rassistischen und antisemitischen Inhalten dürften nicht kriminalisiert werden.[33][34][35] Heribert Prantl verteidigte Ramelow in einem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung und resümierte: „Eine Justiz, die sich als Gegner der Zivilgesellschaft begreift, hat nicht verstanden, was Rechtspflege ist.“[36] Dagegen verteidigte Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) das Vorgehen der Justiz. Der Leipziger Volkszeitung sagte er‚ eine der Errungenschaften der friedlichen Revolution sei die Unabhängigkeit der Justiz. Die werde auch in Sachsen gewahrt.[37]
Im April 2015 stellte die Staatsanwaltschaft Dresden das Verfahren wegen Geringfügigkeit endgültig ein. Die Kosten für Ramelows Anwalt sowie weitere Auslagen im Zusammenhang mit dem Verfahren, um die Ramelow mit dem Gericht noch gestritten hatte, wurden von der Staatskasse übernommen.[38]
Anfang Juni 2016 erlitt Ramelow vor dem Thüringer Verfassungsgericht eine juristische Niederlage gegen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD). Die Richter sahen es als erwiesen an, dass er gegen seine Neutralitätspflicht als Regierungschef verstoßen und das Grundrecht der NPD auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb verletzt hat. Ramelow hatte in einem Interview mit dem MDR in der Thüringer Staatskanzlei dazu aufgerufen, in Kommunalparlamenten keine gemeinsame Sache mit der NPD zu machen. Die Staatskanzlei hatte daraufhin das vollständige Interview über ihre offiziellen Accounts in sozialen Netzwerken weiterverbreitet. Dies sei laut den Richtern einer amtlichen Verlautbarung gleichgekommen; Ramelow habe seine „Amtsautorität in Anspruch“ genommen und „die Grenzen der Zulässigkeit“ überschritten. Der 2017 vom Bundesverfassungsgericht zurückgewiesene NPD-Verbotsantrag der Bundesländer habe bei der Urteilsfindung „keine Rolle“ gespielt.[39]
Nach der Niederlage kündigte Ramelow an, die Kommunikationsstrategie und -wege in der Staatskanzlei zu überdenken und am NPD-Verbotsverfahren festhalten zu wollen.[39]
Bodo Ramelow begann 2003 eine medienwirksame, langwierige Auseinandersetzung mit dem Verfassungsschutz, der ihn wegen seiner Kontakte zur Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) beobachtet hatte.[40] Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz unter Helmut Roewer habe über Ramelow eine Akte wegen seiner Kontakte zur DKP in den 1980er Jahren in Westdeutschland angelegt. Laut der Thüringer Datenschutzbeauftragten Silvia Liebaug sei Ramelows Akte von 1996 bis 1999 geführt worden. Nach seinem Einzug in den Landtag habe das Innenministerium die Beobachtung jedoch eingestellt.[41]
2003 beantragte Ramelow beim Bundesamt für Verfassungsschutz Auskunftserteilung über die zu seiner Person vorliegenden Daten, um die Rechtmäßigkeit seiner Beobachtung und die seiner Partei klären zu können. Nachdem ihm das Amt jedoch nur eine Teilauskunft gewährte, leitete er gerichtliche Schritte ein. In einem Urteil vom 13. Februar 2009 bestätigte das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen weitgehend das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln, nach dem die Datenerhebung über Ramelow rechtswidrig sei, weil dieser nicht als Angehöriger der linksextremistischen bzw. orthodox kommunistischen Flügel innerhalb der Linkspartei hervorgetreten sei. Zugleich bezeichnete es die Zusammenschlüsse Kommunistische Plattform, Marxistisches Forum und Linksjugend Solid innerhalb der Linkspartei, als verfassungsfeindlich.[42][43] Das Thüringer Oberverwaltungsgericht entschied in einem parallel laufenden Verfahren am 17. September 2007, dass die Sperrung von Verfassungsschutzakten über Ramelow ebenfalls rechtswidrig war.[44]
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hob in seiner Entscheidung vom 21. Juli 2010 die Urteile des Verwaltungsgerichts Köln und des Oberverwaltungsgerichts Münster auf und erklärte, dass die Erhebung von Informationen über Ramelow durch das Bundesamt für Verfassungsschutz in der betreffenden Zeit rechtmäßig gewesen sei und insbesondere nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen habe. Als Begründung wurde seine Tätigkeit als führender Funktionär der Partei Die Linke genannt, bei der auch die Vorinstanz Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen sah. Die Gefahren bei der Beobachtung von Parlamentsmitgliedern seien gemindert durch die lediglich offene Beobachtung und gerechtfertigt durch das besondere Gewicht des Schutzes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.[45][46] Ramelow bezeichnete dieses Urteil als „Sieg für den Schnüffelstaat“.[47]
Mit Beschluss vom 17. September 2013 erklärte das Bundesverfassungsgericht die Überwachung Ramelows und der Mitglieder seiner Bundestagsfraktion für verfassungswidrig. Die Überwachung durch den Verfassungsschutz verletze diese in ihren Abgeordnetenrechten aus Artikel 38 des Grundgesetzes und sei unverhältnismäßig. Es hob das anderslautende Urteil des Bundesverwaltungsgerichts auf und verwies die Sache an dieses zurück.[48]
Nach dieser Entscheidung verlangten Bodo Ramelow und die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau Akteneinsicht in die vom Verfassungsschutz über sie angefertigten Berichte.[49] Am 31. Juli 2019 entschied das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, dass die Auskunftsversagung rechtswidrig war und das Bundesamt für Verfassungsschutz über den Auskunftsantrag, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts, erneut entscheiden müsse.[50] Das Bundesverwaltungsgericht wies am 28. Juli 2020 die dagegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde des Bundesamts für Verfassungsschutz zurück.[51]
Innerhalb der rot-rot-grünen Regierungskoalition kritisiert wurde Ramelow Anfang März 2020 für seine Erklärung, dem AfD-Politiker Michael Kaufmann, der mit einfacher Mehrheit zum Landtags-Vizepräsidenten gewählt worden war, seine Stimme gegeben zu haben. Ramelow sagte, ihm gefalle weder die Partei, noch hege er Sympathien für den Kandidaten, und er verweigere dem Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke den Handschlag, aber den Parlamentsrechten der AfD nicht seine Stimme. Im Gegenzug habe die AfD ihre Blockade bei der Besetzung des Richterwahlausschusses aufgegeben. Er habe „diese Erpressungssituation durch meine Stimmabgabe und den offenen Umgang damit beenden“ wollen. Er verstehe jedoch, dass nicht jeder diese getroffene Entscheidung akzeptieren könne.[52][53]
Am 17. Juli 2020 sorgte Ramelow für einen Eklat im Thüringer Landtag und für einen großen medialen Aufschrei. Während einer Landtagsdebatte zum Umgang mit den Akten des NSU zeigte Ramelow dem AfD-Abgeordneten Stefan Möller während einer Rede den Mittelfinger und titulierte ihn als „widerlichen Drecksack“. Stefan Möller hatte in seiner Rede kurz zuvor darauf verwiesen, dass Ramelow jahrelang vom Verfassungsschutz beobachtet worden war. Möller stellte daraufhin Strafantrag wegen Beleidigung (§ 185 StGB) bei der Staatsanwaltschaft Erfurt.[54][55]
Zu den Äußerungen und der Geste Ramelows äußerten sich mehrere Stimmen: Andreas Bühl, der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, nannte Ramelows Verhalten eine „Respektlosigkeit gegenüber dem Landtag“. Der Thüringer AfD-Fraktionschef Björn Höcke forderte einen Rücktritt Ramelows und äußerte sich mit den Worten: "Wenn er einen Funken politischen und menschlichen Anstand besäße, würde er zurücktreten!"[56]
In einem Interview mit dem MDR gab Ramelow zu, dass er sich nicht parlamentarisch verhalten hatte, beteuerte jedoch, dass für ihn der AfD-Abgeordnete Stefan Möller aufgrund seiner Aussagen trotzdem ein „widerlicher Drecksack“ sei und er diese Bezeichnung nicht zurücknehmen würde.
Unterstützung erhielt Ramelow nach dem Eklat unter anderem von der Fraktionschefin der Linken im Thüringer Landtag, Susanne Hennig-Wellsow.[57][58]
Personendaten | |
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NAME | Ramelow, Bodo |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Politiker (Die Linke), MdL, MdB, Ministerpräsident von Thüringen |
GEBURTSDATUM | 16. Februar 1956 |
GEBURTSORT | Osterholz-Scharmbeck |