Die Bhagavad Gita (Sanskrit, f., भगवद्गीता, gītā – Lied, Gedicht, bhagavan – der Erhabene, Gott; „der Gesang des Erhabenen“), verkürzt auch nur Gita, ist eine der zentralen Schriften des Hinduismus. Sie hat die Form eines spirituellen Gedichts. Der vermutlich zwischen dem 5. und dem 2. Jahrhundert v. Chr. entstandene Text ist eine Zusammenführung mehrerer verschiedener Denkschulen des damaligen Indien auf Grundlage der älteren Veden (Frühvedische Schriften ca. 1200 v. Chr. bis 900 v. Chr.), der Upanishaden (Spätvedische Schriften ca. 700 v. Chr. bis 500 v. Chr.), des orthodoxen Brahmanismus (ca. 800 v. Chr. bis 500 v. Chr.), des Yoga u. a. m., steht aber den Upanishaden gedanklich am nächsten.[1]
Die Bhagavad Gita ist ein Teil des Mahabharata (Sanskrit, महाभारत, Mahābhārata [mʌhaːˈbʱaːrʌtʌ] „die große Geschichte der Bharatas“ im Sinne des Epos vom Kampf der Bhāratas), der Schrift über die Familie Bharata (Sanskrit भारत bhārata [ˈbʱɑːɻət̪ə]) und deren Nachkommen (Schlacht zu Kurukshetra). Der Seher Saṃjaya schildert in dem Gesamtepos dem blinden König Dhritarashtra (Sanskrit धृतराष्ट्र, dhṛtarāṣṭra) den Kampf der beiden Bhāratafamilien den („guten“) Pandavas und den („bösen“) Kauravas um die Macht.
In der Bhagavad Gita bildet sich ein Zwiegespräch zwischen Krishna, einer irdischen Erscheinungsform von Vishnu, dem Lehrer, und Arjuna, dem Schüler, ab.[2] Vishnu avancierte in der Zeit der Niederschrift des Werkes neben Shiva zu einem der Hauptgötter des Hinduismus. Krishna, der Protagonist der Bhagavad Gita, gilt als Avatara (Sanskrit अवतार avatāra, „Inkarnation, Herabkommen, Manifestation Gottes“), als Inkarnation des Gottes Vishnu auf Erden. In der Rahmenhandlung der Bhagavad Gita legt Krishna als Manifestation des Göttlichen dem jungen Krieger und Prinzen Arjuna auf dem Schlachtfeld die Grundgedanken über das Leben dar. Hierbei zeigt er ihm sein göttliches Wesen und unterweist ihn in Verhaltensregeln zum Erkennen des Göttlichen.
Hindus betrachten die Lehren der Bhagavad-Gita traditionell als Quintessenz der Veden.[3] Beim Studium ergeben sich oft scheinbare Widersprüche: Während einige Stellen anscheinend einen Dualismus lehren – die Zweiheit von Natur und Geist, von Gott und Mensch –, lehren andere die Einheit. Durch diese unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten ist das Gedicht Mittelpunkt für die verschiedensten Glaubensrichtungen.
Die Bhagavad Gita wurde als religiös-philosophisches Lehrgedicht in 18 Kapiteln mit 700 Versen niedergeschrieben und um das 2. Jahrhundert n. Chr. in das Nationalepos Mahabarata eingebunden. Das typische Versmaß ist das Shloka-Versmaß, das rezitiert oder besser gesungen werden kann, daher Gita. Sie zählt zu den Smriti (Sanskrit, f., स्मृति, smṛti, „was erinnert wird“), das sind die Epen (Dichtung) Itihasa (Sanskrit: इतिहास itihāsa m.; wörtl.: „so (Iti) wahrlich (ha) ist es gewesen (āsa)“), zu denen neben der Mahabharata auch noch das Ramayana gerechnet wird.
Die Gita, wie sie in Indien verkürzt genannt wird, besteht aus 700 Strophen, die auf 18 Gesänge bzw. Kapitel verteilt sind. Sie ist Teil des etwa 100.000 Strophen umfassenden Epos Mahabharata und umfasst die Gesänge 25 bis 42 des 6. Buches.
Der größte Teil des Werkes besteht aus zwei Verszeilen, die aufeinanderbezogen sind. Jede Verszeile setzt sich aus zwei achtsilbigen Reihen zusammen. Beispiel (1. Gesang, Vers 47):
evam uktvārjunaḥ saṅkhye (acht Silben)
rathopastha upāviśat, (acht Silben)
visṛjya sa śaraṁ cāpaṁ, (acht Silben)
śokasaṁvignamānasaḥ. (acht Silben)
Und Arjuna sank leiderfüllt
Auf seines Wagens Sitz zurück,
Der Bogen glitt ihm aus der Hand,
Und Gram umflorte seinen Blick.
In einigen Strophen wird von diesem Metrum ohne erkennbaren Grund abgewichen.
Nach Aussage des Indologen Helmuth von Glasenapp lässt sich die Treffsicherheit des Ausdrucks und der Hauch des Weihevollen, die dem Urtext eigen sind, nicht voll übertragen. Eine weitere Schwierigkeit besteht bei der Übersetzung darin, dem Original treu zu bleiben und dennoch Metrum und Reim zu erhalten.
Es handelt sich um eine Selbstoffenbarung Krishnas, der sich vor Beginn eines großen Krieges, welchen das Mahabharata ausführlich beschreibt, auf dem Schlachtfeld von Kurukshetra dem Fürsten Arjuna als göttliches oder kosmisches Selbst zu erkennen gibt.
Entsprechend der hinduistischen Mythologie leben wir jetzt im Kali-Yuga, dem „dunklen, schwarzen Zeitalter“, das nach Krishnas Tod begann (3102 v. Chr.). Es gibt eine weitere Überlieferung, nach der wir schon im nächsten Zeitalter, dem Dvapara-Yuga, sind. Von Krishna heißt es, er sei gekommen, um den Menschen jene ethischen und philosophischen Unterweisungen zu geben, die für die Zeit dieses Yuga notwendig seien. In Kapitel IV, 7–8 verspricht Krishna, immer wieder zu inkarnieren:
„O Sohn des Bharata, so oft ein Niedergang des Dharma (Rechtschaffenheit, Tugend) und ein Überhandnehmen von Ungerechtigkeit und Laster in der Welt eintritt, erschaffe ich mich selbst unter den Kreaturen. So verkörpere ich mich von Periode zu Periode für die Bewahrung der Gerechten, die Zerstörung der Boshaften und die Aufrichtung des Dharma.“
Krishna kommt in der Bhagavadgita, je nach Kontext, unterschiedliche Bedeutung zu: Einmal wird er als das kosmische Selbst angesehen, das alles Lebende durchdringt; ein anderer Aspekt ist die Bedeutung als innere Göttlichkeit, die eine Reflexion des kosmischen Selbstes in jedem Lebewesen ist. Eine dritte Funktion ist die des spirituellen Lehrers.
Die Bhagavada Gita fußt auf den Grundlagen der älteren Veden, so den Frühvedische Schriften, dem orthodoxen Brahmanismus, Schriften des Yogas aber insbesondere den Upanishaden, als Spätvedische Schriften, letztere beschäftigten sich mit der Essenz der vier Veden und bildeten so die Grundlage des Vedanta. Ursprünglich entwickelten sich zu den einzelnen Veden entsprechende Schulen, sodass verschiedene Vedaschulen (Shakhas, Sanskrit शाखा śākhā) existierten. Aus einer dieser Schulen bzw. Lehrmeinungen stammten die Upanishaden. In ihnen werden die Begriffe Brahman und Atman weiter ausgeformt. Alles Existierende ist gegenüber dem Absoluten eine Täuschung, eine Illusion (Maya). Maya des verblendeten Egos, das die Realität als nur psychisch und mental versteht und das wahre Selbst, das Atman, das eins mit Brahman ist, nicht erkennt. Um Moksha (Erlösung) zu erreichen, muss der Zustand der Maya überwunden werden.
In den Upanishaden wird das wahre Selbst des Menschen, das Atman, identisch mit dem Absoluten, dem eigentlich Wirklichem, dem Unbenennbaren (Brahman) gesehen. Brahman ist ein apersonales Konzept des Göttlichen, das keinen Schöpfer und keinen Demiurg beinhaltet, es wird als Urgrund des Seins vorgestellt, ohne Anfang und ohne Ende. Brahman ist nicht definierbar in Raum und Zeit. Das Selbst der Upanishaden ist aber nicht das Ego, das Ich des alltäglichen Bewusstseins.[4] So wird in den Kapiteln 1–6 der Bhagavad Gita das Handeln zum Thema haben (Karma Yoga Sanskrit: कर्मयोग karmayoga m.), das wiederum im Wissen um die Wirklichkeit des Atman gründet, damit der Adept in der Verwirklichung des wahren Selbst voranschreiten kann. In der Bhagavadgita beschrieb Krishna dem Helden Arjuna das Brahman wie folgt:
„Von Sinnesbanden unbeschränkt, erglänzt es wie durch Sinneskraft. Es trägt das All, und unberührt genießt es jede ‚Eigenschaft‘. Ist in und außerhalb der Welt, fest und beweglich, Ardschuna, so fein, dass niemand es gewahrt. Es ist zugleich entfernt und nah. Zerteilt durchdringt die Wesen es und bleibt in Wahrheit ungeteilt. Erhält ihr Sein durch seine Kraft, schafft und zerstört sie unverweilt. Das ‚Licht der Lichter‘ heißt man es, das jenseits alles Dunkels thront, Erkennen und Erkenntnisziel; in jedes Wesens Herz es wohnt.“
Krishna unterscheidet zwischen Wirklichem und Nichtwirklichem. Das Wirkliche ist Atman, das Sein selbst, das Gewahrsein, reines Bewusstsein, das unerkennbar, unmanifestiert und unzerstörbar ist. Das Nichtwirkliche ist die gewöhnlich wahrgenommene Welt. Als Identifikation mit dem Körper, die durch das Ego hervorgerufen wird entsteht die Täuschung (Maya), dass die Welt wirklich ist. In allen Wesen, in allem Seienden ist Atman enthalten und damit ist alles göttlich. Atman ist in allem, aber es ist kein Teil von ihm. Die Schwierigkeit besteht in der Unterscheidung zwischen der Welt, dem Nichtwirklichen und dem Göttlichen, dem Wirklichen. Durch die Weisheit der Unterscheidung von Wirklichem und Nichtwirklichem erlangt man Glückseligkeit.
Die Lehren der Bhagavad-Gita sind eingebettet in einen umfangreichen episch-dramatischen Kontext, in das Epos Mahabharata. Die Söhne des Fürsten Pandu werden von ihrem Onkel Dhritarashtra aus dem Stamm der Kurus und von dessen Söhnen um ihren rechtmäßigen Thronanspruch betrogen und immer wieder Verfolgungen ausgesetzt. Schließlich kommt es auf dem Schlachtfeld von Kurukshetra, der „Stätte der Kurus“, zu einer großen Schlacht. Arjuna, der dritte der Söhne des Pandu, befindet sich in einem persönlichen Konflikt zwischen der Zuneigung zu seinen Verwandten auf der Gegenseite und seiner Pflicht als Fürst und dem rechtmäßigen Anspruch seiner Familie auf Land und Thron. Er ist „von Furcht überwältigt“ und weigert sich zu kämpfen. Auf seinem Streitwagen (sanskrit: Ratha) befindet sich Krishna als Wagenlenker. Dieser versucht Arjuna durch religiös-philosophische Unterweisung aus seinem Zwiespalt zu befreien und zum Kampf zu bewegen.
Mag es auch einen historischen Hintergrund für diese Schlacht geben, der Text der Bhagavadgita ist nicht als geschichtlich zu betrachten. Viele Hindus sehen ihn als Allegorie. Eine mögliche und weit verbreitete Sichtweise ist, dass es sich um ein Zwiegespräch handelt zwischen der inneren Göttlichkeit, verkörpert durch Krishna, und der menschlichen Seele, die Arjuna darstellt: das Schlachtfeld sei das Leben, und die feindlichen Heerscharen, gegen die Arjuna antreten muss, verkörperten die menschlichen Schwächen, die besiegt und überwunden werden müssten. Neben dieser sich auf das Individuum beziehenden Deutung ist es möglich, der Bhagavadgita eine Deutung zu geben, die sich auf die Menschheit als Ganzes bezieht. In dieser evolutionären Anschauung ist die Schlacht ein Aufeinandertreffen der asurischen, egoistischen Kräfte mit denen der göttlichen Ordnung. Arjuna und seine Mitstreiter werden in diesem Bemühen von Krishna, dem Avatar, angeführt und unterstützt.
Das Bild der Kutsche mit Krishna als Wagenlenker und dem verzweifelten Arjuna ist ein bekanntes und weit verbreitetes Motiv darstellender Kunst und als Wandschmuck in vielen Hindu-Haushalten zu finden. Eine populäre Deutung dieses geistigen Bildes enthält die Katha-Upanishade (II.3–4):
„Erkenne den Atman als den Herrn der Kutsche. Der Körper ist der Wagen, die Buddhi (Vernunft) der Wagenlenker und das Denken die Zügel. Die Sinne sind die Pferde, die Objekte die Wege.“
Die Gita fußt auf einer spirituellen Tradition, die sich von den ältesten indischen Verssammlungen, dem Rig-Veda bis hin zu den Upanishaden, erstreckt. Sie akzeptiert dabei im Grundsatz die spirituellen Überlieferungen; kritisiert aber auch bestimmte Vorstellungen, und geht in ihren höchsten spirituellen Inspirationen über das vergangene Wissen hinaus. Insbesondere gibt sie Bhakti Yoga und Karma Yoga eine neue, bisher ungenannte Wertschätzung.
Im zweiten Gesang der Gita wird eine Geisteshaltung kritisiert, die sich durch rituelle Opfer an die Götter ein besseres Leben im Jetzt und im späteren Jenseits erwerben will. Es heißt:
…
Und töricht sich dem Blumenwort
Der heil’gen Veden anvertraut,
Wer voll von Wahn Genuss erstrebt
Und himmliche Glückseligkeit,
Gelangt niemals, o Prithas Sohn,
Zur Ruhe und Beständigkeit.[5]
Stattdessen pocht sie auf die Wahrheit, die in eigener Selbsterkenntnis gewonnen wird.
Den Nutzen, den ein Brunnen hat,
Wenn rings ist überschwemmt das Land,
Nur solchen Nutzen hat die Schrift
Für den, der höchste Weisheit fand.[6]
Formulierungen aus den Upanishaden, die ihrerseits ebenfalls die älteren Schichten der Veden kritisierten, werden stattdessen nahezu wortwörtlich wiedergegeben. So zitiert sie Stellen aus dem Svetasvatara-Upanishad und dem Katha-Upanishad.[7]
Den Weg der Askese lässt die Gita zwar gelten; gibt aber ihrerseits einem Tätigsein in der Welt den Vorzug. So heißt es in Vers 5.2:
Entsagung zwar und Tätigkeit,
Sie führen beide wohl zum Heil,
Doch wird vor dem Entsagenden
Dem Tätigen der Preis zuteil.[8]
Arjuna sagt, dass er sich besonnen hat und nach Krishnas Worten handeln will.
Diese achtzehn Kapitel des Epos haben das gesamte indische Geistesleben beeinflusst. Kein Text der Hinduliteratur wird so viel gelesen, so oft auswendig gelernt und so häufig zitiert wie diese Verse. Viele Hindus ziehen das Buch als wichtigen Ratgeber heran, und auch für Mahatma Gandhi war es von erheblicher Bedeutung:
„In der Bhagavadgita finde ich einen Trost, den ich selbst in der Bergpredigt vermisse. Wenn mir manchmal die Enttäuschung ins Antlitz starrt, wenn ich verlassen, keinen Lichtstrahl erblicke, greife ich zur Bhagavadgita. Dann finde ich hier und dort eine Strophe und beginne zu lächeln, inmitten aller Tragödien, und mein Leben ist voll von Tragödien gewesen. Wenn sie alle keine sichtbaren Wunden auf mir hinterlassen haben, verdanke ich dies den Lehren der Gita.“[9]
Gandhi wollte dieses Werk noch mehr Menschen zugänglich machen. Darum verfasste er, obwohl kein Schriftgelehrter, eine Übersetzung in seine Muttersprache Gujarati und schrieb dazu auch eigene, knappe Kommentare. Diese Ausgabe widmete er den Armen, die wenig Geld für Bücher ausgeben können, sowie denen, die selten Zeit zum Lesen haben; nach eigenen Worten den Frauen, Geschäftsleuten und Handwerkern.[10]
Die Bedeutung der Bhagavad Gita erstreckt sich jedoch nicht nur auf Indien, auch für viele Nicht-Hindus gehört sie zu den großen religionsphilosophischen Dichtungen der Weltliteratur. Al Biruni, ein persischer Universalgelehrter, hat sich mit ihr um 1000 in seinem berühmten Buch über Indien, dem Kitab-al-Hind, beschäftigt. Um 1600 hat Abul Fazl, der Historiograf des Mogulherrschers Akbar I. des Großen, das Werk in persische Prosa übertragen. 1785 kam die Bhagavad Gita, durch den Orientalisten Charles Wilkins übersetzt, nach Europa. August Wilhelm Schlegel, der Inhaber des ersten Lehrstuhls für Indologie in Deutschland an der Universität Bonn, ließ sich in Paris Buchstaben für den Satz des indischen Devanagari-Alphabets herstellen, um damit die ersten Sanskrit-Texte in Europa zu drucken. Das erste Buch war 1823 die Bhagavad Gita mit einer lateinischen Übersetzung von August Wilhelm Schlegel.[11] Sie fand begeisterte Aufnahme und viele zeitgenössische Gelehrte verbreiteten sie unter ihren Schülern. Wilhelm von Humboldt schrieb 1825 bis 1826 zwei Abhandlungen darüber in den Schriften der Berliner Akademie. Er bezeichnete die Bhagavad Gita als „… das schönste, ja vielleicht das einzig wahrhafte philosophische Gedicht, das alle uns bekannten Literaturen aufzuweisen haben“.[12] Arthur Schopenhauer zitiert die Schlegel-Übersetzung in der zweiten Auflage seines Hauptwerks Die Welt als Wille und Vorstellung von 1844.
Die Bhagavad Gita wurde in Versform unter anderem von Robert Boxberger (1870), Franz Hartmann (1904) Theodor Springmann (1920), und Leopold von Schroeder (1937) (ins Deutsche) und von Friedrich Rückert (ins Lateinische) übersetzt. Unter den zahlreichen Prosa-Übersetzungen sind nach Ansicht des Indologen Helmuth von Glasenapp diejenigen von Richard Garbe (1905), Paul Deussen (1906) und Rudolf Otto (1935) von besonderem wissenschaftlichen Wert.[12]
Sie übte großen Einfluss auf die Theosophie aus. Weltweit verbreitet ist heute die Übersetzung und Kommentierung Bhagavad-gītā, wie sie ist des ISKCON („Hare Krishna“)-Begründers Prabhupada, der die Lehren im Lichte des monotheistischen Gaudiya Vaishnavatums betrachtet.
Ebenfalls großen Einfluss übte sie auf das Denken und Handeln des Physikers Robert Oppenheimer aus.[13]
Der amerikanische Schriftsteller Steven Pressfield schrieb basierend auf der Bhagavad Gita den Roman Die Legende von Bagger Vance, der im Jahr 2000 mit Will Smith, Matt Damon und Charlize Theron verfilmt wurde.
Traditionell gehören die Kommentatoren einer spirituellen Tradition oder Schule und bestimmten Gurulinien an, die jede für sich beanspruchen, am zuverlässigsten den Originaltext wiederzugeben. Die verschiedenen Übersetzer und Kommentatoren haben bisweilen auch weit voneinander abweichende Ansichten über die Bedeutung bestimmter Sanskritwörter und Ausdrücke. Dies führt dazu, dass Interpretationen ganzer Abschnitte in den Literaturwissenschaften des Westens oft mit den traditionellen Ansichten nicht übereinstimmen.
Der älteste und zugleich einflussreichste Kommentar des Mittelalters stammt von Shankara, dem bedeutendsten Philosophen der Vedanta-Schule des Advaita-Vedanta (Nicht-Dualität). Nach ihm weisen auch die Lehren der Gita auf die Erkenntnis einer sich als pure Erscheinung (Maya) manifestierenden, differenzierten Wirklichkeit sinnlicher und gedanklicher Erfahrung.[14] Anderer Ansicht ist dagegen Ramanuja, der im elften Jahrhundert lebte und lehrte, dass die erfahrbare Welt keine Täuschung oder Illusion, sondern in all ihrer Vielfalt real ist, diese Realität gleichwohl aber vom Allerhöchsten abhänge. Folgerichtig wird daher von Ramanuja der Weg der Hingabe (Bhakti-Yoga) als die wichtigste Botschaft der Gita bezeichnet. Auch von Madhva (1199–1278), dem Begründer der Schule der Zweiheit (Dvaita-Vedanta), gibt es einen ausführlichen Kommentar zur Bhagavad Gita.[15]
Im 20. Jahrhundert wurden bemerkenswerte Kommentare von den Großen der indischen Unabhängigkeitsbewegung Bal Gangadhar Tilak (während seiner Zeit im Gefängnis 1910/11), Mahatma Gandhi und Sri Aurobindo geschrieben. Andere moderne Kommentatoren waren Swami Vivekananda und Sarvepalli Radhakrishnan. Radhakrishnan schreibt, dass nach Aussage der Bhagavad Gita „ein Kampf zwischen Gut und Böse in der Welt stattfindet, an dem Gott innigen Anteil nehme“. Radhakrishnan sieht in der Gestalt von Krishna, wie sie in der Gita erscheint, „eine Veranschaulichung der geistigen Quellen und der verborgenen Göttlichkeit des Menschen“.[16] Paramahansa Yogananda, Verfasser der Autobiografie eines Yogi, schrieb einen umfangreichen Kommentar für Yogis und speziell für seinen Kriya-Yoga.[17] A. C. Bhaktivedanta, Gründer der Internationalen Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein (ISKCON), schrieb einen Kommentar zur Gita aus der Perspektive der Gaudiya-Vaishnava-Schule, eine vishnuitische Lehre, welche die Verehrung des göttlichen Paares Radha-Krishna sowie das Singen und Rezitieren ihrer Namen ins Zentrum der Verehrung stellt.
Albert Schweitzer kommt in seinem 1935 geschriebenen Werk über die Weltanschauung der indischen Denker zu einer sehr kritischen Einschätzung der ethischen Wertvorstellungen, wie sie in der Gita zu finden sind. Er schreibt:
„Weil sich in ihr so wunderbare Sätze von der innerlichen Losgelöstheit von der Welt, von der hasslosen und gütigen Gesinnung und von der liebenden Hingebung an Gott finden, pflegt man das Nicht-Ethische, das sie enthält, zu übersehen. Sie ist nicht nur das meistgelesene, sondern auch das meist idealisierte Buch der Weltliteratur.“[18]