Şuşa | ||
Staat: | ![]() | |
Koordinaten: | 39° 45′ N, 46° 45′ O | |
Höhe: | 1380 m | |
Einwohner: | 3.191 | |
Zeitzone: | AZT (UTC+4) | |
Şuşa (aserbaidschanisch) oder Schuschi (armenisch Շուշի), auch Schuscha (kyrillisch-schriftliches aserbaidschanisch und russisch Шуша) geschrieben (jeweils mit Endbetonung ausgesprochen) ist eine Stadt in Bergkarabach in Aserbaidschan. Von 1992 bis zum Krieg um Bergkarabach 2020 war sie unter der Kontrolle der Republik Arzach (Bergkarabach). 2005 hatte die Stadt 3.191 Einwohner.[1] Sie liegt zwischen 1300 und 1500 m über dem Meeresspiegel.
Die Stadt wurde 1752 vom Herrscher des Khanats Karabach Panah-Ali Khan als Festung Panachabad gegründet. Später wurde sie nach einer nahe gelegenen Siedlung in Şuşa umbenannt und bis 1822 zum administrativen Zentrum des Khanats erhoben. 1805 wurde das Khanat Karabach von Russland unter Protektorat gestellt und verblieb darin bis 1917.[2]
Aga Mohammed Khan belagerte 1797 die Hauptstadt des Khanat Karabach Şuşa und nahm sie nach längeren Kämpfen mit einer Kriegslist ein. Im Massaker, das der Schah in Şuşa anordnete, wurde auch der Dichter und Wesir Molla Pənah Vaqif getötet. Schah Aga Muhammed-Khan selbst wurde in Şuşa von rivalisierenden Landsleuten ermordet.[2][3]
Bis zum Ersten Weltkrieg war Şuşa ein wichtiges kulturelles und wirtschaftliches Zentrum sowohl der Armenier als auch der Aserbaidschaner.[4][5] Lange Zeit waren die Armenier in der Mehrheit. Die Volkszählung des Russischen Reiches 1897 ergab für die Stadt 25.881 Einwohner, davon 14.420 Armenier (55,7 %), 10.778 Aserbaidschaner (41,6 %) und 359 Russen (1,4 %).[6] Es gab eine russisch-orthodoxe und fünf armenisch-gregorianische Kirchen, zwei schiitische Moscheen, eine Realschule, Seiden- und Baumwollweberei sowie bedeutenden Handel.[7]
Ende März 1920 wurde während des Schuscha-Pogroms das armenische Viertel der Stadt von aserbaidschanischen und türkischen Truppen zerstört und ein großer Teil der armenischen Einwohner ermordet. Die Angaben über die Zahl der Todesopfer unterscheiden sich stark und liegen im Bereich zwischen 500[8][9] und 20.000[10] bzw. 30.000.[11] Ein Teil der Armenier konnte fliehen; es blieben nur wenige überlebende Armenier in der Stadt zurück.[12][13][14][10]
Von den Zerstörungen erholte sich die Stadt lange nicht. 1959 hatte Şuşa nur 6117 Einwohner, nur rund ein Viertel des Werts von 1904.[15] Zu diesem Zeitpunkt betrug der Anteil der Armenier in der Stadt noch 23,3 %.[16] Dieser Anteil sank in den Folgejahren stark und betrug 1979 nur noch 13,1 %.[17] In den 1980er-Jahren nahmen die Spannungen zwischen Armeniern und Aserbaidschanern massiv zu und die ohnehin schon geschwächte armenische Gemeinde von Şuşa schrumpfte auf wenige hundert Personen im Jahr 1989.[5][18] Şuşa war nun zu einer fast rein aserbaidschanischen Stadt geworden.
Im Bergkarabachkonflikt war Şuşa der wichtigste Stützpunkt der Aserbaidschaner in Bergkarabach: Von hier aus wurde das tiefer gelegene Stepanakert wirkungsvoll unter Beschuss genommen. Die Aserbaidschaner wurden bei der Verteidigung der Stadt auch von einer tschetschenischen Einheit unter der Führung von Schamil Bassajew unterstützt. Trotzdem nahmen am 8. und 9. Mai 1992 armenische Verbände mit Şuşa die letzte Stadt Bergkarabachs ein. Bassajew war einer der letzten, der die Stellung vor dem Fall der Stadt verließ.[19]
Im Zuge dessen wurden praktisch alle aserbaidschanischen Einwohner vertrieben.[20] Stattdessen ließen sich in Şuşa nun armenische Flüchtlinge aus anderen Teilen Aserbaidschans nieder, zum Teil auch Siedler aus Armenien und Rückkehrer aus der armenischen Diaspora. 2005 betrug die Einwohnerzahl rund 3100[21], inzwischen stieg sie auf etwa 4000[22]. Noch immer sind große Teile der Stadt Ruinen. In aserbaidschanischen Statistiken findet man noch heute so hohe Einwohnerangaben wie 28.300 Einwohner.[23] Nach Auffassung der Vereinten Nationen und der Europäischen Union gehören die gesamte Region und damit auch die Stadt Şuşa zu Aserbaidschan. Die tatsächliche Kontrolle übte von 1992 bis November 2020 die international nicht anerkannte und von Armenien unterstützte Republik Arzach aus.
Im Zuge der Schlacht um Schuscha bis 9. November 2020 wurde die Stadt von der aserbaidschanischen Armee zurückerobert,[24] was im darauffolgenden Waffenstillstand vom 10. November bestätigt wurde. Bis Ende des Jahres 2020 stellte Aserbaidschan die zerstörte Wasserversorgung wieder her und richtete eine eigene Strom- und 4G-Netzversorgung sowie die Ausstrahlung aserbaidschanischer Fernseh- und Radioprogramme ein. Ebenso wurde die Bedeutung der Stadt für die aserbaidschanische Musikkultur bekräftigt und Überlegungen angestellt, Musikinstitutionen in die Stadt zu verlegen.[25] Die wirtschaftlichen Aussichten in der Stadt sind jedoch zunächst schlecht, da fast alle Einwohner geflohen sind. Ein Großteil der jetzt hier lebenden sind Militärangehörige. Dennoch eröffneten noch 2020 einige größere aserbaidschanische Ladenketten, die sich wohl auch Werbeeffekte durch ihre Präsenz in der für Patrioten wichtigen Stadt erhoffen.[26] Seit November 2020 wird eine neue Straße durch das Kandalan-Tal, nun aserbaidschanisches Gebiet, von Füzuli nach Şuşa gebaut. Für 2021 ist außerdem die Errichtung einer Bahnstrecke von Horadiz nach Füzuli und weiter nach Şuşa geplant.[27]
Jahr | Armenier | Azeris/Tataren | Andere | Gesamt | |||
---|---|---|---|---|---|---|---|
1851[28] | 15.194 | ||||||
1886[29] | 15.188 | 56,7 % | 11.595 | 43,3 % | 23 | 0,1 % | 26.806 |
1897[30] | 14.420 | 55,7 % | 10.778 | 41,6 % | 683 | 2,6 % | 25.881 |
1904[31] | 56,5 % | 43,2 % | 25.656 | ||||
1916[32] | 23.396 | 53,3 % | 19.121 | 43,6 % | 1.352 | 3,1 % | 43.869 |
März 1920: Schuscha-Pogrom gegen die armenische Bevölkerung | |||||||
1926[29] | 93 | 1,8 % | 4.900 | 96,4 % | 111 | 2,2 % | 5.104 |
1939[33] | 1.476 | 27,2 % | 3.701 | 68,2 % | 247 | 4,5 % | 5.424 |
1959[34] | 1.428 | 23,3 % | 4.453 | 72,8 % | 236 | 3,9 % | 6.117 |
1970[35] | 1.540 | 17,7 % | 6.974 | 80,2 % | 179 | 2,1 % | 8.693 |
1979[36] | 1.409 | 13,1 % | 9.216 | 85,5 % | 159 | 1,5 % | 10.784 |
1988: Bergkarabachkonflikt: Vertreibung der armenischen Bevölkerung | |||||||
1989[37] | 98 %[38] | 15.039 | |||||
Mai 1992: Vertreibung der aserbaidschanischen Bevölkerung | |||||||
2005[39] | 3.105 | ~100% | 3.105 | ||||
2009[40] | 3.900 | ~100% | 3.900 | ||||
2015[41] | 4.446 | ~100% | 4.446 |
Die Erlöserkirche (Ghasantschezoz-Kathedrale, 1858–1887) und die Grüne Kirche (Kanatsch Scham, 1818) in Şuşa sind von besonderer religiöser Bedeutung für die Armenier.
Şuşa ist wegen seiner Architektur und auch als Kurort bekannt. Es galt außerdem als eines der Zentren der aserbaidschanischen und kaukasischen Teppichherstellung. Das Teppichmuseum Schuscha wurde 2013 eröffnet.
Die Stadt ist bekannt für ihre Komponisten und Sänger, wie die Komponisten Üzeyir Hacıbəyov, Schöpfer der ersten Oper in der Geschichte des muslimischen Orients, und Niyazi, sowie die Sänger Bülbül und Khan Schuschinski. Aus Şuşa stammt die aserbaidschanische Dichterin Xurşidbanu Natəvan; der Politiker und Dichter Molla Pənah Vaqif wirkte dort. Die Stadt ist deshalb als „aserbaidschanische Musikhochburg“ bekannt.[42]
Şuşa war durch seine Lage im Hochgebirge und durch seine vielen Mineralquellen ein beliebter Kur- und Urlaubsort.
Erlöserkirche (Ghasantschezoz-Kathedrale), Zustand nach Restauration